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Alexander von Gleichen-Rußwurm 

Georg Broel
Ein Begleitwort zu seiner Radierfolge „Frühlingssinfonie“ und seinen Zeichnungen

Vor mir liegt eine Reihe von Radierungen, deren jede fesselt und erfreut. GEORG BROEL entwickelt sich hier zu einem Meister der Nadel. Fern von der Heimat, durch Kriegsdienst der Kunst und sachgemäßer Arbeit entrissen, wurde der Dichter in ihm lebendig, der innerlich Bilder sieht und zur Formgebung gezwungen ist. So sind die Blätter entstanden, die aus hochragenden Stämmen, Weidengruppen, düsterem Waldgedräng und weiteren phantasievollen Ausblicken geschlossene Landschaften zusammenfügten. Nach Goethes Beispiel könnte man sie als Dichtung und Wahrheit bezeichnen. Sie überzeugen durch innerliche Wahrheit. Wer so gut zeichnen kann wie Georg Broel, versteht es, flüchtige Skizzen, Eindrücke und Erinnerungen, die Sehnsucht nach der Heimat bis zur Bildstärke anwachsen ließ, zum Kunstwerk zu formen. Mich persönlich ergriffen zumeist die zehn Radierungen, die der Künstler unter dem Namen „Frühlingssinfonie"*) ordnete, und die meines Erachtens sein Wesen am deutlichsten zum Ausdruck bringen. Sind die anderen Blätter vielleicht kräftiger im Strich und herber in der Empfindung, so schließen sich diejenigen der Sinfonie so innig in eines zusammen, daß ihre Betrachtung nicht nur besonderen künstlerischen, sondern auch poetischen Reiz gewährt.

Wer die große Einsamkeit des Waldes und der freien Feldmark begreift im Rhythmus ihrer herben Schönheit, hört Musik, die ewige Sinfonie der Zeiten. Was dem Fernstehenden tot und stumm erscheint, gewinnt Leben und Stimme, was getrennt betrachtet unfreundlich, häßlich oder sogar feindlich wirkt, steht aufgenommen in den großen Klang der Natur als Teilchen einer Harmonie im Bilde, froh begrüßt vom sehenden Auge, vom hörenden Ohr, vom fühlenden Herzen.

Und wer nach langen, bangen Wintertagen Dunkelheit und Kälte schier unbesiegbar gefunden, wer sehnsuchtsvoll die Stadt mit ihren Vororten, Fabriken und Schienensträngen verläßt, dem Frühling gleichsam entgegenzugehen, wird schon im starren, noch fest in sich zu sammengezogenen Wesen von Feld und Wald| den Ton der Erlösung vernehmen, im scheinbar Festgeschlossenen der Form den Wunsch erblicken, sich aufzutun und auszubreiten.

Allzu flach ist noch der Sonnenwinkel, das Leben zu wecken, wie es, auf dem ersten Blatt dargestellt, das schwere Dunkel der Waldlandschaft zeigt (Abb. S. 214). Gehaltener Ernst liegt über dem Ganzen, metallisch hart begrenztes Gewölk hängt in der Luft, leblos starrt das Geäst der Bäume und tot erscheint die Scholle dem oberflächlichen Blick. Doch durch die Luft zittert ein Traum, die Ahnung des Kommenden. Blüht nicht im feuchten Grund, wo Forst und Wiese sich berühren, das Schneeglöckchen? In der Sinfonia sacra beginnt leise die Melodie.

Schon zittert das Leben im eisbefreiten Tümpel, die Kätzchen regen sich am Weidenstrauch und am Haselbusch, und das silberne abgestorbene Gras fegt der Wind, künftigem Wachstum Luft zu machen. Die Erde öffnet ihr Haus, der Lenz kann kommen.

Wie wir erst leise, kaum merklich die Muskeln der festgeschlossenen Faust weniger anspannen, wenn mildere Regungen uns veranlassen, sie aufzutun, wird es weicher und ein wenig auseinander gefaltet im Triebholz der Aeste. g (Abb. S. 215) Was im Baum lebendig quillt, drängt nach außen, wenn es auch noch vorsichtig fest eingewickelt bleibt. Züge von Staaren bevölkern die Luft, leichter flattern die Wolken, da und dort hebt ein grabendes Tier die Kruste des Bodens. Die Erde erwacht, Hoffnung folgt dem Traum. In der Sinfonie beginnt das Allegro die Melodie aufzunehmen. Den weißen Blumen gesellt sich zartes Lila und Gelb, wo ein Rain, wo eine Wiese dem steileren Sonnenwinkel offen steht.

Das vierte Blatt kündet, wie der Frühling ins Erlengebüsch zieht. Man atmet weit und tief, als wolle man den Hauch des Werdens einsaugen, bis nicht nur die Lunge, auch die ganze Seele voll davon ist. Ueber den Horizont eilen die Cirruswolken in leisen Schleiern, Eisnadeln in höchsten Regionen, die in der Sonne sich lösend fruchtbaren Regen verkünden.

Das nächste Bild (Abb. S. 215) zeigt bereits prangende Schönheit, wohl die herbe Schönheit des deutschen Hochlands, aber doch liebliche Blütenfülle zu Füßen des Baumes, dessen junges, zartfröhliches Grün die Sonne entfaltet. Mit breiten Tönen klingt die Melodie durch den zweiten Satz, das Andante der Sinfonie. Es jubelt in uns, es zwingt, für einen Augenblick die Gegenwart zu genießen. Der Künstler führt ins Weite, wir sehen über die Wellen der Hügellandschaft. Durch die blühende Wiese eilt der befreite Wasserlauf zu Tal, der Wald scheint uns viele tausend Hände entgegenzustrecken, so drängen Zweiglein, Blätter und Nadeln im Jubel des Wachstums heraus, sich auszubreiten. Es ist, als wolle die ganze Natur die Füße zum Werbetanz erheben, zum zierlich sinnlichen Menuett, das im dritten Satz der Sinfonia sacra zum ewigen Wollen ewigen Werdens gesteigert wird.

Den großen Tanzschritt der ganzen Natur
Treibt ewiges Wollen und Werden.
Es schreitet als König über die Flur
Der Lenz in den Blumen auf Erden.

In den Schlußsatz der Sinfonie klingt die Stimme des Gebetes. Unter weitem offenem Himmel, die weite offene Landschaft überhöhend, breitet der Baum die blühenden Aeste aus und schließt sie doch wieder zusammen zu gefesteter Krone (Abb. S. 217). Ein Bild des zu höchst gesteigerten Lebens, Weite des Gesichtskreises und Geschlossenheit der eigenen Entfaltung. Nichts darf über die Form hinauswuchern, die sein Keim enthält. Das Gebet des Schlußsatzes strebt in die Ferne und faßt sich doch wieder im Innern zusammen, damit es nicht zerflattert im feindlichen All. So erscheint das Schlußbild durch Wolken und Wälder gerundet, begrenzt, möchte ich sagen, wenn es auch ins Unbegrenzte geht und schließt sich zum Ring mit dem kleinen symbolischen Titelbild, das eine Blüte zeigt, wie sie, sich öffnend, zur Entfaltung strebt.

Es war ein guter Gedanke des Künstlers, seine fein ausgeführten Radierungen unter dem Titel einer „Frühlingssinfonie" herauszugeben. Sinfonie heißt Zusammenklang. Wie vom Rauschen des Waldes bis zum Donnern in den Gewitterwolken, vom Schrei des Raubvogels bis zum Summen der Biene jedes einzelne Geräusch seinen selbständigen Ton vertritt und doch richtig in das große Ganze hineinklingt, so ist auch bei der Sinfonie das ganze Orchester derartig tätig, daß jedes einzelne Instrument selbständig geführt wird. Derselben Technik bedient sich der Künstler in den komponierten Landschaften und stellt damit das Werden des Frühlings in sinfonischer Dichtung dar. Wie die Empfindungen im Frühling wechseln und fortschreiten von der Ahnung über das Lied zur jubelnden, anbetenden Freude mitten in der weiten sonnigen Welt, so ändern sich von Blatt zu Blatt Form, Rhythmus und Komposition. Sie schreiten vom Gebundenen zum Befreiten, von der Ruhe zur Bewegung, vom Düstern zum Licht. Im musikalischen Kunstwerk ordnen sich alle Teile den Bestimmungen von Rhythmus und Form unter, um die Harmonie zu ergeben. Der musikalischen Stimmung des Künstlers entsprechend bauen sich hier die Rhythmen des Bodens, der Bäume, Wolken und Ausblicke zu einer sinfonischen Dichtung auf, die einer tief poetischen Naturanschauung den Ausdruck gibt.

Seit die Brüder van Eyck an Stelle des Goldgrundes auf biblischen Historienbildern Landschaften setzten, haben die Künstler bald realistische Naturausschnitte, bald komponierte Bilder vorgezogen. Hier war der Gedanke, das Leitmotiv, in der Folge der Zeichnungen maßgebend, und die „Porträtähnlichkeit des für den Augenblick richtigen Landschaftsbildes“ trat hinter das Gebot zurück, das Werden in der Natur selbst durch fortlaufende Bilder festzuhalten. Da klingen und singen die aufbrechenden Formen wie Töne und zwingen den Künstler wie den Dichter zur Aeußerung in gebundener Form:

Scheu blickt der Frühling über Wald und Fluren,
Da grüßt ihn leuchtend rot der Seidelbast,
Ein Veilchen blüht in seiner Tritte Spuren,
Dort, wo die Hand gestreichelt nackten Ast,
Keimt junges Grün und Himmels Schlüssel sprießen,
Die ganze Herrlichkeit neu aufzuschließen.


*) Frühlingssinfonie, 10 Radierungen von Georg Broel. Ausg. A. No. I—20 mit Remarken auf Kaiserlichem Handjapan (vergriffeni). Ausg. B. No. 21—100 auf Bütten 250 M. MÜnchen, Verlag von F. Bruckmann A.G.




Aus: „Die Kunst für Alle“, Heft 11/12, März 1918 
Alexander von Gleichen-Rußwurm (1865-1947) war der letzte Urenkel des Friedrich Schillers. Er ermöglichte die Gründung des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar. Seine Familie wurde 1938 von den Nationalsozialisten enteignet.
Näheres: http://www.bad-bad.de/gesch/g_russwurm.htm


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