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Alexander von Gleichen-Rußwurm 

Georg Broel, ein moderner Landschafter 

Einer der sympatischsten Erscheinungen unter Radierern und Malern ist in der heutigen Kunst der Rheinländer Georg Broel. In seinen nun durchaus gereiften Werken kommt jener Fortschritt sichtbar zum Ausdruck, den Expressionismus und Kubismus in sich trugen, als sie noch grotesk und Widersinn schienen. Broel arbeitet mit sicherem Können altmeisterlich, aber die rhythmisch bedingte Form, die den modernen Strömungen in roher Nacktheit zu eigen war, hat sich bei ihm zur formalen Unterlage herausgebildet, auf deren abgemessener, ich möchte sagen geometrischer Vorarbeit sich das Leben entwickelt, wie sich die Körperformen über das Skelett legen. So ist aus der Unform die Form, aus dem Zerrbild das Bild gewachsen, und mystischer Einschlag gibt den Zyklen des Künstlers eine philosophische Richtung, die ihm wohl aus dem Reich des Unbewussten zugeflossen ist. 

Broel ist ein graphischer Dichter der Natur, des Waldes vor allem und seiner rheinischen Heimat, deren Wesen in den Radierungen klar erfasst ist, obwohl niemals Veduten gegeben sind, sondern immer stilisierte oder, wie man früher sagte, komponierte Landschaften. Eine Synthese der Natur ersteht vor dem ergriffenen Beschauer und weiterträumend, was der Maler in sein Bild gelegt, sieht der Dichter aus der reinen Form Gedanken, Sagen, philosophische Schlussfolgerungen quellen. Broels Frühlingssymphonie war der erste große Zyklus, den er schuf. Als zweiter stellt sich ihm eine Waldsymphonie zur Seite, die alle Geheimnisse des deutschen Waldes in sich schließt, durch dunkle Laubpforten in Einsamkeit, Angst und Chaos führt, dann aber wieder, dem optimistischen Charakter ihres Schöpfers entsprechend, Sonnenlichter spielend im dunklen Laubgewirr zeigt, immer heller und heller wird, bis schließlich ein Ausblick auf die Gralsburg Erlösung verkündigt - ein Gang durch den Wald, ein Gang durchs Leben, es ist etwas vom alten Mysterienspiel in den Blättern. 

Wer den deutschen Wald kennt und liebt, findet ihn wieder in Broels Radierungen, die auf genaue Naturstudien sicher begründet, dennoch ein dichterisches Spiel mit den Formen enthalten. Ich habe unter den Handzeichnungen des Künstlers Einzelheiten gesehen, die an Dürers gewissenhafte Art des Sehens und Wiedergebens erinnern, einzeln welke, vom Boden aufgelesenen Blätter, Wurzeln von Weiden, die wie Hände oder Materialisationsphänomene in Luft und Erde greifen. Derartige Handzeichnungen geben den Schlüssel zum Verständnis des sicheren Könnens, das die Radierungen des Künstlers auf jedem Blatt neu verküpfen. Dadurch hebt sich seine Arbeit aus dem, was man analog dem Worte Programmusik „Programmalerei“ nennen könnte, in jene reinen Gefilde des inneren Erlebnisses, bei dem sich der Mensch aus schwerer Seelennot durch die eigene Schöpfung befreit. In diesem Sinne tritt einerseits die Dämonie der Natur in gewaltige Erscheinung und anderseits der heilige Frieden, der von ihr ausgeht. Die Symphonie des Waldes stellt die verschiedenen Arten des deutschen Baumes dar; der Stamm der Buchen, das glitzernde sonnendurchhuschte Laub des Ahorns, die Esche, die Weide, die schlank aufstrebende Birke, die ernste Tanne kommen zu individueller Wirkung, und – ich möchte sagen – die philosophische Ausdrucksfähigkeit des Baumes wird mit einer tiefen Naturauffassung und einer Deutlichkeit hervorgeholt, wie sie uns vorher kaum bewusst werden konnte beim Anblick von Kunstwerken vergangener Zeit. Darin liegt jenes durchaus Neue, das auf dem Umweg des rein formalen Schauens sich bildete. 

Noch stärker tritt dies vielleicht im jüngsten Zyklus des Künstlers, „An die Heimat“, zutage. Sie besteht mit dem Titelblatt aus zwölf Radierungen – ein  Mysterium der Heimat und des Heimatgefühls darstellend, aus der Sehnsucht geboren, die in der Kriegsfremde nach der rheinischen Landschaft empfunden und wach wurde. „In der Gesamterscheinung heiter perlend, das ist rheinisch“ nennt Broel sein Titelblatt. Ein Herz schmückt die Mitte, auf die Liebe an das Elternhaus deutend, Rebenranken umkränzen es ... Wein, Gesang tönt es aus den Linien, doch Dornen und Schlangen sprechen von der Not des Tages;  sie verbrennen und aus ihrer Asche erhebt sich der Phönix. Damit symbolisch der gesamte Zyklus angedeutet, dessen erstes Blatt, in Licht getaucht, ein arkadisch-heiteres Ufer bringt. Die Wolken in freudiger Bewegung begleiten diese heitere Melodie. Sie steigert sich im zweiten Blatt zu einem Tanzrhythmus der Linien. Beim Anblick dieser Landschaft ergreift uns Wanderlust – Zugvögel, ein Segelboot entsprechend der Stimmung. Man glaubt Rheinlieder zu hören, wie sie in der guten alten Zeit Schiffe und Dörfer, Burgruinen und Terrassen erfüllten. Die nächste Radierung geht noch weiter in der selben Stimmung. Ein barockes Parkgitter erinnert an jene Jahrhunderte, in denen der Krummstab fröhlich das Land regierte und Maskengewirr die Gärten am Ufer erfüllte. Nun sind sie verwildert oder an Stelle der schmiedeisernen Blumenornamente sind Zeichen der Industrie getreten. Aber trotzdem schmiegt sich da und dort an das Flussufer, ins Rebgelände und die Seitentäler die Sonnen glitzernde Rheinlandschaft des Dichters und Träumers, aus der das Lied klingt, in der man glaubt Jünglinge und Mädchen mit geschwungenem Thyrsosstab zu sehen. Nach diesem traumhaft gestimmten Bild kommt auf dem nächsten Blatt die ganze Fülle ausgestreuten Reichtums zur Geltung. Garben und Früchte, Garten, Feld und Weinberg betten der breiten Sonnenstrahl das Leben. In weiterer Folge sehen wir diese Stimmung nicht nur räumlich vergrößert, sondern auch vertieft. Von halber Höhe blickt man über die Kurve des Stroms, deren Elipse die Komposition bestimmt; höher steigend zum Licht umflossenen Gipfel – alle Linien des Blattes streben nach oben – hält der Wanderer kurze Umschau, um auf dem siebenten Bild die unendliche, lichte Weite vom Gipfel aus zu umfassen. Die Gesamtform der Landschaft wirkt wie eine Schale, in deren goldglänzender Tiefe Strom und berge, Täler, Burgen, Dörfer und das reiche üppige Dasein eingeschlossen erscheinen, Enge in der Weite, Heimat im großen Gesichtskreis. 

Nun lässt der Künstler den Wendepunkt in der Symphonie eintreten. Im Abstieg wechselt die Empfindung. Zickzack Kurven der Felsen im Wald, deren Linien sich im Ausblick auf den Strom fortsetzen, zeigen einen seelischen Zwiespalt an. Erkenntnis der zusammenhänge dämmert im folgenden Blatt, der Ruine im geschlossenen Forst. Sie erinnert an Vergangenes und dessen Vergänglichkeit. Alles ist streng und gesetzmäßig geformt, melancholische Einkehr heraufbeschwörend mit dem Wunsch nach neuer Harmonie. Die melancholische Note klingt im nächsten Blatt aus, wohl dem bedeutendsten der Serie. Ein erregter lodernder Abend auf dem Wasser ist dargestellt. Unheildrohende Wolkenformen erwecken den Gedanken an Krieg und Brand ... Die Mär vom Rheingold züngelt auf, die Stadt mit dem Dom am Ufer weist auf die Lehren der Geschichte. Im Schlussbild klingt die Symphonie zum Ton des Anfangs zurück, nur ernster, gehaltener, die Wanderung hat im Gemüt ihre Spuren zurückgelassen. 

Ein echter Künstler ist der zerrissenen Gegenwart in Georg Broel geschenkt. Ein Künstler, der zum Herrscher über das Technische geworden, Trost und Sammlung spenden kann in den Leid geborenen Blättern seines dichterisch empfundenen Werkes. 

Aus: „Der Türmer“, Heft 12, September 1926 
Alexander von Gleichen-Rußwurm (1865-1947) war der letzte Urenkel des Friedrich Schillers. Er ermöglichte die Gründung des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar. Seine Familie wurde 1938 von den Nationalsozialisten enteignet.
Näheres: http://www.bad-bad.de/gesch/g_russwurm.htm


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